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Chefarzt im Auslandseinsatz

Dr. Zülküf Tekin, Chefarzt an unserem KMG Klinikum Luckenwalde berichtet von seiner Hilfsaktion im Erdbebengebiet

Bereits einen Tag nach dem Erdbeben und den ersten Informationen und Bildern über das katastrophale Ausmaß des Bebens, haben sich ca. 200 Ärzt*innen aus Deutschland in Chat-Gruppen organisiert und sich bereiterklärt, vor Ort zu helfen. Leider gab es jedoch von offiziellen Stellen immer wieder die Aussage, dass kein medizinisches Personal gebraucht wird.

Letztendlich habe ich mich entschlossen, auf eigene Faust dorthin zu fahren und vor Ort zu helfen. Nachdem ich das unter meinen Freund*innen, Bekannten und Kolleg*innen kundgetan und um Spenden gebeten hatte, kam innerhalb kürzester Zeit eine unglaubliche Summe an Spendengeldern zusammen.

So bin ich am 17.02. zusammen mit meinem Bruder mit einer großen Menge an Schlafsäcken im Gepäck und den Spendengeldern direkt nach Gaziantep geflogen. Von dort aus sind wir dann mit dem Auto in ein kleines Dorf bei Kahramanmaras, dem Epizentrum des Erdbebens, gefahren.

Hier haben wir unsere erste Kontaktperson vor Ort getroffen, mit dem wir auch andere Dörfer in der Region angeschaut haben. Das Ausmaß des Erdbebens ist einfach unglaublich. Viele dieser Dörfer existieren einfach nicht mehr. Die Menschen leben größtenteils in Zelten. Einige wenige sind aber auch bereits in Wohncontainern untergebracht. Laut ihren Aussagen haben die ersten von ihnen die Zelte erst am 5.-6. Tag nach dem Erdbeben bekommen. Zuvor haben sie draußen unter freiem Himmel geschlafen, und das bei bis zu zweistelligen Minusgraden in der Nacht.

Abends haben wir uns dann mit den Dorfvorstehern der umliegenden Dörfer getroffen und haben besprochen, wie wir helfen können. Es war unglaublich, wie bescheiden diese Menschen trotz ihrer schwierigen Situation waren und wie solidarisch alle untereinander sind. Da diese Menschen wirklich alles verloren haben, haben wir hier für insgesamt 126 Familien die nötigsten Haushaltssachen organisiert, die jetzt, nach unserer Rückkehr, auch bei den Familien angekommen sind. Zusätzlich zu diesen Utensilien haben sie auch noch ein Gas-Kochfeld bekommen (nicht auf dem Foto).

Die erste Nacht haben wir dann auch bei den Dorfbewohner*innen verbracht. Die Gastfreundlichkeit der Menschen ist unglaublich. Das Wenige, was sie hatten, haben sie auch noch mit uns geteilt. Geschlafen haben wir in dem Container, den die Familie an diesem Tag erhalten hat. Sie selber haben eine weitere Nacht im Zelt übernachtet. Ein Ablehnen des Angebots war nicht möglich.

Am nächsten Morgen sind wir dann in Kahramanmaras gewesen. Das Zentrum dieser Stadt existiert ebenfalls nicht mehr, es ist schlichtweg pulverisiert. Es war schrecklich zu sehen, dass Hochhäuser nur noch ein Haufen Schutt waren. Es gab viele Angehörige , die noch weinend an den Schuttbergen standen und darauf gewartet haben, dass zumindest die Leichen der Angehörigen gefunden werden. Es war wirklich nicht auszuhalten, sodass wir nach einer halben Stunde abgereist sind. Anschließend waren wir in mehreren Zeltlagern und haben unsere Schlafsäcke verteilt. Immer wieder wurde uns gesagt, dass dringend Hygieneartikel gebraucht werden. Da es im Umkreis von 100 Kilometern überhaupt keine Einkaufsmöglichkeit gab, sind wir zwei Stunden in die Stadt Adana gefahren. Es war ein komisches Gefühl, aus einem Katastrophengebiet nach 2 Stunden in eine Stadt zu kommen, in der das normale Leben existiert. Hier haben wir unser Auto bis in die letzte Ecke vollgeladen mit Hygieneartikeln.

Nach einer Übernachtung in Adana sind wir dann am nächsten Tag nach Pazarcik gefahren. In Pazarcik selbst ist wirklich eine gespenstische Stimmung. Diese Stadt ist fast komplett zerstört. In der Stadt sind kaum Menschen zu sehen. Die Menschen, die noch da sind, sind in mehreren großen Zeltstädten untergebracht. Die Freude über die Hygieneartikel war wirklich sehr groß. Die Kinder vor Ort haben uns dann bei der Verteilung der Pakete geholfen.

Anschließend fuhren wir weiter nach Adiyaman, ebenfalls eine größere Stadt, die auch sehr großen Schaden genommen hat. Hier haben wir ein Zeltlager besucht, welches ein guter Freund von mir mit aufgebaut hat. Mit diesem Freund hatte ich 2014 auch die Hilfe im Zeltlager der Yeziden in Diyarbakir koordiniert. Das Zeltlager wurde mit vielen Freiwilligen mit einfachsten Mitteln aufgebaut. Durch die Ärztekammern der verschiedenen Regionen wurde hier auch eine kleine medizinische Versorgung gewährleistet. Es war unglaublich zu sehen, wie viele Menschen hier freiwillig und ehrenamtlich geholfen haben. Für dieses Zeltlager haben wir dann eine LKW-Ladung voll mit Lebensmitteln organisiert. Außerdem haben wir auch hier Kontakte geknüpft, um in den naheliegenden Dörfern die Familien mit den nötigsten Haushaltssachen zu unterstützen.

Es waren einige wenige, aber dafür sehr intensive Tage, die wir im Erdbebengebiet verbracht haben. Es ist uns vollkommen bewusst, dass unsere Hilfe nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, aber gar nichts zu machen, war für mich keine Option. Neben dieser Akuthilfe sind die Menschen vor Ort aber auf langfristige Hilfe angewiesen, weil die Menschen teilweise ihre gesamte Existenz verloren haben. Wir versuchen jetzt, mit unseren Kontakten vor Ort auch langfristige Hilfen zu organisieren.

Ich danke nochmals meiner Familie, meinen Freund*innen, den Kolleginnen und Kollegen sowie den vielen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aus Potsdam für die unglaubliche Spendenbereitschaft und natürlich für ihr mir gegenüber entgegengebrachte Vertrauen. Auch danke ich natürlich meinem Team dafür, dass sie mir in dieser Zeit den Rücken freigehalten haben.  Und zuletzt möchte ich mich gerne bei der Geschäftsführung, und hier insbesondere bei Herrn Opitz bedanken, die mich bei meinem Vorhaben sehr unterstützt haben.

Dr. Zülküf Tekin
Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie
KMG Klinikum Luckenwalde